Grüne: Bagatellgrenze für die Unterkunftskosten bei HARTZ IV – Zu wenig Wohnraum

Die GRÜNEN im Kreistag Kleve beantragen die Einführung einer Bagatellgrenze bei den Unterkunftskosten. Unbillige Härten und Zwangsumzüge bei Hartz-IV-Beziehern sollen so vermieden werden.

Mieten und Heizkosten im Kreis Kleve steigen – ein Problem besonders für die Armen. Foto: Thomas Velten

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Kreistag Kleve    –      06.02.2017     
        

Unterkunftskosten für Bezieher von Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II, Hartz-IV)
Antrag zur Einrichtung einer Bagatellgrenze

Antrag                                         

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Kreistag Kleve beantragen die Einführung einer Bagatellgrenze in den Ausführungsbestimmungen zur Festlegung der angemessenen Unterkunftskosten für die Grundsicherung.

Diese Bagatellgrenze soll nach dem Beispiel der Stadt Düsseldorf verhindern, dass ein Umzug aus der bisherigen Wohnung droht, wenn die Obergrenze der zu erstattenden Kosten lediglich um bis zu 10 Prozent überschritten wird.

Das Prinzip der Einzelfallüberprüfung bleibt unberührt.
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Begründung

Der rechtliche Rahmen
Das Bundessozialgericht hatte seit 2006 gefordert, für die Übernahme der Kosten von Menschen in Grundsicherung und Hartz IV ein schlüssiges Konzept zu erarbeiten. Nach einer Präzisierung der Anforderungen durch die weitere Rechtsprechung hat der Kreis Kleve die Firma empirica ag in Berlin beauftragt, ein solches Konzept zu erarbeiten. Ab dem 01.08.2016 ist ein solches Konzept mit einer entsprechenden Richtlinie für den Kreis Kleve in Kraft getreten. Die offizielle Bezeichnung lautet „Schlüssiges Konzept zur Herleitung von Mietobergrenzen im Kreis Kleve“.

Das neue Konzept hat zur Grundlage, unter Bezug auf das 9. Änderungsgesetz zum SGB II nunmehr eine Bruttowarmmiete zu ermitteln.  Diese neue Obergrenze besteht aus den Bestandteilen

a) angemessene Aufwendungen für die Nettokaltmiete,
b) angemessene Aufwendungen für die kalten Betriebskosten,
c) angemessene Aufwendungen für die Heizkosten.

Die drei Komponenten können gegeneinander aufgerechnet werden. Das Konzept ist als Arbeitshilfe für den gesamten Kreis Kleve gültig.

Auswirkungen der neuen Regelungen

Beispiel Kevelaer-Weeze
Als erste Annäherung an das Thema sei hier auf die Situation in Kevelaer verwiesen. Der Bürgermeister der Stadt Kevelaer hat auf Anfrage der SPD in der Sitzung des Sozialausschusses am 21.09.2016 einen Bericht über die Folgen der neuen Regelungen gegeben.

Die Stadt Kevelaer kommt in ihren Berechnungen für ihr Stadtgebiet und den angrenzenden Raum Weeze zu folgenden Ergebnissen:

Haushaltsgröße                               Bruttowarmmiete                             Reduzierung
1-Personen-Haushalte                           420,00 €                                   –   39,08 €
2-Personen-Haushalte                           520,00 €                                   –   48,86 €
3-Personen-Haushalte                           600,00 €                                   –   89,73 €
4-Personen-Haushalte                           700,00 €                                   – 119,06 €
5-Personen-Haushalte                           790,00 €                                   – 118,78 €

(Quelle: Stadt Kevelaer, Berichtsvorlage 100/2016  für den Sozialausschuss der Stadt Kevelaer, 21.09.2016)

Wie man feststellt, bewirken die neuen Obergrenzen für die sog. angemessene Brutowarmmiete beträchtliche Kürzungen bei den Problemfamilien. Sie betragen zwischen 40 und fast 120 Euro im Monat.
In anderen Gemeinden können die Kürzungen bei den Unterkunftskosten bis zu 160,00 Euro betragen.

Beispiel Kleve
1-Personen-Haushalte                          – 35,00 €
2-Personen-Haushalte                          – 86,45 €
3-Personen-Haushalte                          – 98,40 €
4-Personen-Haushalte                          – 123,10 €
5-Personen-Haushalte                          – 161,20 €.    
(Quelle: Verein für Sozialberatung, Herbert Looschelders, Kleve, 02.12.2016)
 
Erstes Fazit
Wie die Beispiele Kleve und Kevelaer-Weeze zeigen, gibt es beträchtliche Auswirkungen durch das neue Konzept des Kreises Kleve. Es kann zu einer Minderung des Einkommens zwischen 35 und 160,00 Euro pro Haushalt kommen, soweit des den Betroffenen nicht gelingt, eine günstigere, angemessene Wohnung anzumieten.

Die Kürzungen fallen umso höher aus, je größer die Familien sind. Bei den engen Regelsätzen (409,00 Euro für einen Alleinstehenden) sind 40 Euro viel Geld. Es fällt den Betroffenen schwer, rund 10 Prozent ihres Einkommens zusätzlich für die Miet- und Heizkosten aufzubringen. Sie werden es sich im wahrsten Sinne des Wortes „vom Munde“ absparen müssen.

Umfang des Problems
Die Stadt Kevelaer gibt in ihrer öffentlichen Verwaltungsvorlage an, dass jeder 3. Haushalt von einer Minderung der Unterkunftskosten betroffen sein könnte (Quelle siehe oben). Berechnungen des Vereins für Sozialberatung ergeben, dass sogar knapp 40 Prozent der Haushalte mit Grundsicherung betroffen sind.

Kostensenkungsaufforderungen und Umzug
Neben den zum Teil erheblichen Kürzungen bei den Leistungsempfängern für Grundsicherung gibt es weitere gravierende Folgen des Konzepts. Die betroffenen Singles oder Familien werden nämlich zur Senkung ihrer Kosten aufgefordert und in der Folge möglicherweise sogar gezwungen, ihre angestammte Wohnung zu verlassen und sich eine neue zu suchen. Dabei ist der Wohnungsmarkt für Geringverdiener  bereits jetzt prekär. Die unterzubringenden Flüchtlinge, osteuropäische Wanderarbeiter sowie die Studenten der Hochschule Kleve drängen seit einiger Zeit in das untere drittel des Wohnungsmarkts und sorgen für einen sehr angespannten Markt mit entsprechend steigenden Kosten.

Wir sind in einigen Kommunen darauf  hingewiesen worden, dass bezüglich der Senkung der Mietrichtwerte im SGB II/SGB XII wegen geringer Überschreitungen der Mietrichtwerte kein Umzug (bzw. Kostensenkungsaufforderung) erfolgen müsse.  Zum Beispiel hat die Klever Bürgermeisterin Sonja Northing auf einer Mitgliederversammlung des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes zugesagt, sich für die Wahrung der Verhältnismäßigkeit einer solchen Maßnahme stark zu machen.

Indirekt hat sie damit auf die sogenannte "Bagatellgrenze" gem. § 22 Abs. 1, Satz 4 SGB II angesprochen.

Hierauf wird auch im empirica-Konzept und in der Arbeitshilfe des Kreises Kleve zur Grundsicherung (Seite 52) allgemein Bezug genommen, jedoch eine konkreter Bagatellwert leider nicht genannt.
Zusammenfassung
Seit Inkrafttreten der neuen Mietrichtwerte ab 01.08.2016 kommt es im Bereich des Jobcenters Kreis Kleve tatsächlich zu Kostensenkungsaufforderungen, obwohl die Mietrichtwerte nur um 10,- bis 40,- € überschritten werden.

Die Richtwerte der Stadt Düsseldorf sehen bspw. eine "Bagatellgrenze" von 10 % der Monatsmiete vor, d.h. bei geringeren Mietrichtwertüberschreitungen wird davon ausgegangen, dass eine Kostensenkungs-aufforderung unverhältnismäßig ist (im Vergleich zu den Umzugskosten, Kaution, ggfs. Einrichtungskosten).

Wir beantragen die Überprüfung der bisherigen Richtlinien mit dem Ziel, durch die Einführung einer "Bagatellgrenze" von 10 % der Bruttowarmmiete eine Verwaltungsvereinfachung zu erzielen.

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Kreistag Kleve
Birgitt Höhn, Fraktionsvorsitzende
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Materialien

Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 06.02.2017 zu den Unterkunftskosten als pdf-Dokument
Sudie der IWU im Auftrag der Bundesregierung zu den Unterkunftskosten, Januar 2017

Schreiben der Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtpflege zum Konzept der Unterkunftskosten an Landrat Spreen, 18.10.2016