Grüne Kreistagsfraktion startet große Anfrage zum Thema Gewalt gegen Frauen

Die alarmierenden Ergebnisse der jüngsten euopaweiten Studie zur Gewalt gegen Frauen und Kinder lassen die Grünen nicht unberührt. Sie wollen wissen, wie es mit der häuslichen Gewalt im Kreis Kleve aussieht.

Zum Hintergrund:

Jede dritte EU-Bürgerin war seit ihrem 15. Lebensjahr schon einmal Opfer sexueller oder physischer Gewalt – Gewalt zu Hause, am Arbeitsplatz, an öffentlichen Plätzen. Fünf Prozent der insgesamt 62 Millionen betroffenen Frauen sind vergewaltigt worden. So lautet das Ergebnis der europaweiten Erhebung der Grundrechte-Agentur FRA im Auftrag des EU-Parlaments, bei der insgesamt 42.000 Frauen im Alter zwischen 18 und 74 Jahren befragt wurden. Frauen in Deutschland sind mit 35 Prozent etwas häufiger von Gewalt betroffen als im EU-Schnitt. 

_________________________________________________________________________________________________________________________________
                                                                                                                                                     Kleve, den 17. April 2014
            

Anfrage zum Thema Gewalt an Frauen im Kreis Kleve

Sehr geehrter Her Landrat,

Frauen erfahren zu Hause, am Arbeitsplatz, in der Öffentlichkeit und im Internet Gewalt. Das Ausmaß dieser Gewalt zeigt ein neuer Bericht der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA), der die Ergebnisse der weltweit größten Erhebung über Gewalt gegen Frauen vorstellt.

Wir bitten Sie, angesichts dieser ernüchternden Menschenrechtsverletzungen um Auskunft zu folgenden Fragen:

1. In wie vielen Fällen haben  Frauen (gerechnet ab ihrem 15. Lebensjahr) Beratung bei der Polizei des Kreises Kleve gesucht wegen  körperlicher und/oder sexueller Gewalterfahrung.
In wie vielen Fällen wurde Anzeige erstattet?
Der statistische EU-Wert:   Etwa 62 Millionen 33 % Frauen in der EU haben o.g. Gewalterfahrung gemacht.

2. In wie vielen Fällen haben Frauen wegen körperlicher und/oder sexueller Gewalt in der Partnerschaft (häusliche Gewalt) Beratung bei der Polizei des Kreises Kleve gesucht?
In wie vielen Fällen wurde Anzeige erstattet? Wie viele  Wohnungsverweise gab es im Kreis Kleve?
Wie viele Kinder sind in diesen Fällen von der häuslichen Gewalt betroffen?

Der statistische EU-Wert:  Etwa  22 % aller Frauen der EU haben o.g. Gewalterfahrung in der Partnerschaft gemacht.

3. In wie vielen Fällen haben Frauen (gerechnet ab 15. Lebensjahr) im Kreis Kleve Beratung bei der Polizei des Kreises Kleve gesucht wegen sexueller Gewalt außerhalb der Partnerschaft?
In wie vielen Fällen wurde Anzeige erstattet?
Wie viele Frauen haben wegen Vergewaltigung im Kreis Kleve Anzeige erstattet?

Der statistische EU-Wert:   Eine von 20 Frauen (5 %) ist seit ihrem 15. Lebensjahr vergewaltigt worden. Fast jede zehnte Frau, die sexuelle Gewalt außerhalb der Partnerschaft erfahren hat, gab an, dass mehrere TäterInnen an dem schwerwiegendsten Vorfall beteiligt waren.


4. In wie vielen Fäller haben Frauen wegen psychischer Gewalt Beratung bei der Polizei des Kreises Kleve gesucht?
In wie vielen Fällen wurde Anzeige erstattet?

Der statistische EU-Wert:   43 % der Frauen waren entweder durch den/die aktuelle/n oder eine/n frühere/n PartnerIn psychischer Gewalt ausgesetzt. Der Missbrauch bestand unter anderem darin, dass Frauen öffentlich bloßgestellt wurden oder das Haus nicht verlassen durften oder eingesperrt wurden, dass sie gegen ihren Willen pornografische Filme ansehen mussten und ihnen Gewalt angedroht wurde.

5. In wie vielen Fällen haben Kinder Beratung bei der Polizei oder dem Jugendamt des Kreises Kleve gesucht wegen körperlicher oder sexueller Gewalt durch eine/n Erwachsenen?
In wie vielen Fällen wurde Anzeige erstattet?
Welche (und wie viele)  Interventionsmaßnahmen hat das Jugendamt Kreis Kleve ergriffen?
Der statistische EU-Wert:   33 % der Frauen haben in der Kindheit körperliche oder sexuelle Gewalt durch eine/n Erwachsenen. 12 % der Frauen waren in der Kindheit von sexueller Gewalt betroffen, die in der Hälfte der Fälle von fremden Männern ausgeübt wurde. Bei diesen Formen des Missbrauchs handelt es sich typischerweise um Fälle, in denen Erwachsene ihre Genitalien zeigen oder die Genitalien oder Brüste des Kindes berühren.

6. In wie vielen Fällen haben Frauen (gerechnet ab 15. Lebensjahr) Beratung bei der Polizei des Kreises Kleve wegen Stalking gesucht?
In wie vielen Fällen wurde Anzeige erstattet?
Der statistische EU-Wert:   18 % der Frauen haben seit dem 15. Lebensjahr Stalking erlebt; bei 5 % der Frauen war dies innerhalb der letzten 12 Monate vor der Befragung der Fall. Dies bedeutet, dass etwa 9 Millionen Frauen in der EU von Stalking betroffen sind. 21 % der Stalking-Opfer gaben an, dass die Belästigung länger als zwei Jahre andauerte.

7. In wie vielen Fällen haben Frauen Beratung bei der Polizei des Kreises Kleve gesucht wegen unangemessener Annäherungsversuche in Social Media oder e-mails / sms mit eindeutig sexuellem Inhalt?
In wie vielen Fällen wurde Anzeige erstattet?
Der statistische EU-Wert:   11 % der Frauen haben bereits unangemessene Annäherungsversuche in den neuen sozialen Medien erlebt oder erhielten E-Mails oder SMS-Nachrichten mit eindeutig sexuellem Inhalt. Unter den jungen Frauen (18–29 Jahre) waren es 20 % die bereits Opfer von solchen Formen der Online-Belästigung wurden.

8. In wie vielen Fällen haben Frauen Beratung bei der Polizei des Kreises Kleve wegen sexueller Belästigung gesucht?
In wie vielen Fällen wurde Anzeige erstattet?
Der statistische EU-Wert:   55 % der Frauen haben irgendeine Form der sexuellen Belästigung erlebt. 32 % der Opfer sexueller Belästigung nannten als TäterInnen Vorgesetzte, Kollegen und Kolleginnen oder Kunden und Kundinnen.

9. In § 34a PolGesNRW wird die Polizei angehalten, auf geeignete Beratungseinrichtungen hinzuweisen.
Wie viele der betroffenen Frauen und Kinder wurden in 2013 an entsprechende Fachstellen vermittelt?
An wen werden die betroffenen Frauen weitervermittelt?
Was passierte in diesen Fällen mit betroffenen Kindern?

10. Haben Sie Erkenntnisse zu der folgenden statistischen Aussage der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte bezogen auf den Kreis Kleve?  

Der statistische EU-Wert:   67 % meldeten die schwerwiegendsten Gewaltvorfälle innerhalb einer Partnerschaft nicht der Polizei oder einer anderen Organisation.

Mit freundlichen Grüßen

gez. Ute Sickelmann                                             i.A. Norbert Panek                  
Fraktionsvorsitzende                                            Fraktionsgeschäftsführer

________________________________________________________________________________

Die Antwort des Landrates

Hier finden Sie die Antwort der Kreisverwaltung vom 08.05.2014. Die grüne Kreistagsfraktion bittet zur Zeit lokale Frauenorganisationen nach ihren Erfahrungen und wird diese mit der Antwort der Kreisverwaltung abgleichen.
_________________________________________________________________________________

INFOMATERIAL

Alarmierende EU-Studie zu Gewalt gegen Frauen

Als alarmierend und dramatisch sind die hohen Betroffenenzahlen einer neuen EU-Studie zu Gewalt gegen Frauen aufgenommen worden. Ein Drittel aller Frauen in der Europäischen Union hat demnach seit ihrer Jugend mindestens schon einmal körperliche oder sexuelle Gewalt erlebt.
In Deutschland gaben demnach 60 Prozent der Befragten außerdem an, bereits sexuell belästigt worden zu sein – dazu zählen die Studienautoren etwa unerwünschte Annäherungsversuche oder sexistische Witze.
«Das ist eine sehr hohe Quote, die uns zu denken geben muss», sagte Christine Lüders von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) am Mittwoch über die Zahl der in Deutschland Betroffenen. Die Ergebnisse der Großstudie seien außerordentlich alarmierend – auch weil viele definitv betroffene Frauen mit niemandem darüber redeten.
Die Bundesgeschäftsführerin der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes, Christa Stolle, sagte: «Die EU-Studie belegt ein dramatisches Ausmaß von Gewalt an Frauen in Europa.» Zwei Drittel der Frauen meldeten demnach die schlimmsten Gewaltvorfälle innerhalb der Partnerschaft nicht der Polizei. Für die EU-Studie wurden mehr als 40 000 Frauen in den 28 EU-Mitgliedstaaten befragt.

EU-Studie Jede dritte Frau ist Opfer von Gewalt

Wären sie eine Nation, sie wären nach Deutschland und Frankreich das drittgrößte Land in der EU: 62 Millionen Frauen, das hat eine großangelegte Studie ergeben, sind bereits Opfer von Gewalt geworden. Deutschland schneidet bei den Ergebnissen alles andere als gut ab.
Die weltweit größte Erhebung zur Gewalt gegen Frauen hat erschütternde Zahlen zutage gefördert. Wie die Europäische Agentur für Grundrechte (FRA) mitteilt, geben ein Drittel der Frauen zwischen 15 und 74 Jahren in der Europäischen Union an, "körperliche und/oder sexuelle Gewalt" erfahren zu haben. Das entspricht 62 Millionen Frauen. Anders gesagt: Würden sie eine Nation bilden, wären sie hinter den Schwergewichten Deutschland und Frankreich die drittgrößte Nation der Europäischen Union.
Fünf Prozent, also etwa neun Millionen Frauen, erklärten, Opfer einer Vergewaltigung gewesen zu sein. "Die Zeit ist reif, eine breit angelegte Strategie zur wirksamen Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen auf den Weg zu bringen", sagte FRA-Direktor Morten Kjærum, der die Studie am Mittwoch in Brüssel offiziell vorstellen will. "Denn es gibt nicht ein einziges Land mit niedrigen Werten."
Auch Deutschland schneidet alles andere als gut ab. So liegt der Anteil der über 15-jährigen Frauen, die physische oder auch sexuelle Gewalt erlebt haben, mit 35 Prozent knapp über dem EU-Durchschnitt (33 Prozent). Der Erhebung zufolge ist die Lage in anderen Nationen allerdings ungleich dramatischer – insbesondere in den nordischen Ländern. So liegt der Anteil der Gewaltopfer in Dänemark bei 52 Prozent, in Finnland bei 47 Prozent und in Schweden bei 46 Prozent. Ins Auge fällt auch, dass in Portugal, Kroatien und Spanien die Überzeugung vorherrscht, Gewalt gegen Frauen sei ein "sehr verbreitetes" Phänomen, obwohl dort die Werte zu persönlicher Gewalterfahrung vergleichsweise niedrig sind.
Nur 15 Prozent der Opfer gehen zur Polizei

Europaweit gaben 22 Prozent aller Befragten an, körperliche oder sexuelle Gewalt durch den eigenen Partner erfahren zu haben. Darunter fielen Schläge oder Attacken mit harten Gegenständen. Zudem seien 55 Prozent der Frauen Opfer von sexueller Belästigung gewesen – unter ihnen 75 Prozent der Frauen, die in Führungspositionen tätig sind.
Die Autorin der Studie, die FRA-Expertin Joanna Goodey, sagte, die Erhebung habe auch ergeben, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Trinkverhalten von Tätern sowie den von Frauen angegebenen Erfahrungen häuslicher Gewalt gebe. Das könne gewisse Aspekte von Gewalt gegen Frauen erklären. Allerdings finden sich am Ende der Skala – mit 19, 20 und 21 Prozent – Länder wie Polen, Österreich und Kroatien, die statistisch gesehen beim Alkoholkonsum weit vorne liegen. Dies könne darauf zurückzuführen sein, dass es in Europa unterschiedliche Grade von Emanzipation gebe. Gewalt gegen Frauen werde "in Gesellschaften mit besserer Gleichstellung eher und offener angesprochen" als in patriarchalisch geprägten Landstrichen.
Wie die Grundrechte-Agentur erklärte, sind für die Umfrage 42 000 Frauen nach dem Zufallsprinzip ausgesucht worden. Sie seien in bis zu zweistündigen persönlichen Interviews sehr spezifisch zu ihren Erfahrungen befragt worden – und hätten ihre Angaben dann auch in anonymisierter Form schriftlich bestätigen oder präzisieren können.
Joanna Goodey sagte, dass sich bei Weitem nicht alle Frauen an die Sicherheitskräfte wendeten. Nur 22 Prozent der Gewaltopfer hätten einen Arzt oder ein Krankenhaus aufgesucht, nur 15 Prozent die Polizei. Der vielleicht beklemmendste Befund freilich war, dass zwölf Prozent der Befragten erklärten, als Kinder Opfer sexueller Gewalt gewesen zu sein.

In 97 Prozent dieser Fälle waren die Täter Männer.

Quelle: SZ vom 05.03.2014, von Javier Cáceres, Brüssel

_________________________________________________________________________________________________________