Susanne Siebert: Unterschiede deutlich machen

Die Grünen-Landtagskandidatin Susanne Siebert setzt auf Bürgerbeteiligung und mehr Miteinander im gesellschaftlichen Leben. Ein Interview mit Astrid Hoyer-Hölderberg in der NRZ.
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Interview mit Susanne Siebert

Susanne Siebert (47) ist Landtagskandidatin im Kreis Kleve für Die Grünen. Die Diplom-Päda­gogin aus der Eifel kam 1990 wegen des Berufes (Heilpädagogisches Heim) her und blieb. Sie ist verheira­tet, hat zwei Söhne. Sie lebt außer­dem in einem Familienpflege-Mo­dell mit zwei behinderten Menschen im Haus zusammen. Seit vier Jahren ist sie freiberuflich als Mediatorin und Coach und in der Fortbildung für die Behindertenhilfe tätig.

Susanne Siebert, Landtagskandidatin der Grünen im Nordkreis Kleve – Foto: Thomas Velten
Wofür stehen die Grünen, warum brauchen wir sie in NRW?
Damit wir die Energiewende kon­sequent umsetzen können, damit die Schulpolitik weiter vorangetrieben wird. Wir setzen uns ein für mehr Demokratie vor Ort, Stärkung der Kommunen, finanziell und in der Bürgerbeteiligung.
Was bedeutet Demokratie vor Ort für Sie?
Mehr Volksentscheide, mehr Bür­gerbeteiligung.
Wird das jetzt populär durch das Aufkommen der Piraten?
Das ist immer schon Grüner In­halt gewesen., aber das kann man sicherlich noch ausweiten. Im Gegen­satz zu den Piraten werden wir da­rauf achten, dass Bürgerbeteiligung nicht nur denjenigen ermöglicht wird, die sich im Internet ausken­nen.
Wächst damit politisches Interes­se?
Ich befürchte, dass wir am Sonn­tag eine relativ geringe Wahlbeteili­gung haben werden. Es ist wichtig, mehr Menschen für das Thema Poli­tik zu interessieren. Es ist wichtig, dass sich alle am Prozess beteiligen.
Welches Lieblingsthema haben Sie persönlich?
Die Inklusion. Dabei geht es nicht nur um die Integration von Men­schen mit Behinderung, sondern ich sehe diese Thema als gesamtgesell­schaftlichen Auftrag. Wir müssen an gesellschaftlichen Strukturen arbei­ten, die die Vielfalt als Bereicherung wahrnehmen, dass ein Zusammen­leben verschiedener Kulturen, Reli­gionen, Altersgruppen stattfindet. Vieles hängt zusammen. Barriere­freiheit beispielsweise ist nicht nur wichtig für  Behinderte,  sondern auch für Senioren, die mit dem Rollator unterwegs sind.
Wie kann dann Pflege und Betreu­ung finanziert werden?
Es muss gelingen, schon jetzt erste Schritte zu machen, ein gemeinsa­mes System aufzubauen für mehr Generationen im Stadtviertel. Wir brauchen in gewohnter Umgebung mehr Pflegedienste vor Ort, aber auch Geschäfte vor Ort. Ich hoffe, dass die Vision der Piratenpartei nicht Realität wird, dass man Dinge nur noch im Internet bestellt, son­dern dass es Begegnung auf der Stra­ße gibt. Das muss auf kurzen Wegen und barrierefrei möglich sein. Man muss das Ehrenamt stärken, ebenso Nachbarschafts- und generationsübergreifende Hilfe.
Das wird aber immer seltener. We­nige Menschen sind bereit, sich in der Freizeit zu engagieren, dazu noch kostenlos. Wie viele Genera­tionen Zeit geben Sie uns denn?‘
(lacht) Ich denke, es ist ein Pro­zess, den die Generationen gemein­sam begleiten müssen. Sonst droht ein Kollaps, der nicht zu bewältigen ist. Wir können unsere Pflege nicht nur osteuropäischen Pflegekräften allein überlassen. Wie kriegen wir den demografischen Wandel in Ge­sellschaft hin im Sinne von mehr Miteinander? Wenn man bereits in Kindergarten und Schule lernt, auf Schwächere Rücksicht zu nehmen und von einander zu lernen, gelingt das auch in späteren Zeiten besser.Wir müssen auf Schulen und ein Bil­dungssystem setzen, das weniger mit Ausgrenzung arbeitet.

Heißt das, die neue Schulpolitik in NRW geht in die richtige Richtung?
Ja. Und muss mit Konzepten ge­füllt werden. Es ist sehr viel Arbeit zu leisten im Bereich Lehrer- und Erzie­herausbildung, Ausstattung der Schulen mit Erziehern und Sozial­arbeitern. Man kann nicht einfach nur Inklusion fordern, sondern muss auch Unterstützung geben.
Müssen die  Förderschulen gestärkt werden?
Nein. Ich halte die Förderschulen mit ihrem inhaltlichen Know-how für eine Bereicherung für die Regel­schulen und zwar noch eine ganz lange Zeit. Wichtig ist, dass sie ko­operieren. Aber ich würde auf kei­nen Fall auf den Ausbau von Förder­schulen setzen.
Wie möchten Sie lernschwächere Schüler fördern und auf dem Arbeitsmarkt unterbringen?
Wir müssen die Arbeit sinnvoll strukturieren für Menschen, die nicht qualifizierte Abschlüsse haben. Schule muss praxisorientierter werden, dass sich Leistung nicht nur definiert über Schulnoten. Jeder Mensch hat Talente. Wenn wir das Potenzial nicht aufgreifen, sehe ich das Problem, dass die soziale Schere immer weiter auseinander geht und wir einen Teil der Gesellschaft zu­rück lassen, der sich dann rechtem Gedankengut zuwendet.
Die Parteienlandschaft wird bunt. Verzettelt sich Ihrer Meinung nach jetzt alles oder bedeutet es Mei­nungsvielfalt und belebt die Politik?
Ja, ich halte eis sogar für positiv in der Demokratie. Es ist gut, wenn da nicht nur CDU und SPD zählen und der Rest gilt nur als Mehrheitsbeschaffer. Es wird wichtig, die Unter­schiede deutlich zu machen, stärker in den Dialog treten zu müssen.
Den Grünen wird vorgeworfen, früher eine Protestpartei gewesen zu sein, jetzt hätte sie sich etabliert.
Ich empfinde etabliert sein nicht unbedingt als ein Schimpfwort. Wir haben konsequent unsere Ziele und Themen eingebracht, was nicht heißt, dass sie schon abgearbeitet sind, sondern wir als Grüne eine wichtige Kraft sind, um Themen wei­ter voran zu bringen, siehe Energie­wende.
Gerade im Kreis Kleve erlebt die Windenergie Widerstände – wollen viele nicht ein Rotorblatt in ihrer Wohn-Nähe. Was sagen Sie denen?Wäre ein Brüter in Kalkar die Alternative gewesen?
Sie sagten, Sie wollen auf Landes- ­und Bundesebene für Kommunen für finanzielle Entlastungen kämpfen. Im Bund sind die Grünen nun nicht an der Regierung.
Ich gehe davon aus, dass nach den Wahlen von Schleswig-Holstein und Sonntag in NRW der Druck über den Bundesrat zunimmt. Nächstes Jahr sind Bundestagswahlen. Nach meiner Sicht deutet vieles auf einen Regierungswechsel hin. Zu den Fi­nanzen: Wir setzen uns dafür ein, dass der Bund einen Teil der Sozial­lasten den Kommunen abnimmt. Wir wollen, dass nicht mehr der Soli­daritätspakt Ost gilt, sondern der So­li nach Bedarf fließt. Viele Städte im Ruhrgebiet haben erhebliche Nach­teile gegenüber manchen Städten in neuen Bundesländern.
Wie ist Ihre Prognose: Wird die Wahl in NRW auf eine andere Farbge­bung hinaus laufen, auf eine Koali­tion SPD, Grüne mit Piraten? Oder was erwarten Sie von einer Großen Koalition?
Zunächst gehe von aus, dass es für Rot-Grün reichen wird. Ich denke, dass wir eine stabile Mehrheit hin­kriegen. Die Minderheitsregierung war zwar gar nicht so schlecht, weil inhaltlich diskutiert worden ist. Aber ich glaube, dass die Bürger sehr wenig Verständnis haben werden für eine zweite Minderheitsregierung. Ich glaube, die Piraten sind noch nicht in der Lage, Regierungsverantwortung zu übernehmen, ich glaube, dass sie das auch nicht wollen. Aber sie würden viele Themen einer rot­grünen Minderheitsregierung in­haltlich unterstützen. Eine Große Koalition halte ich für Stillstand.


Susanne Siebert mit Spitzenkandidatin Sylvia Löhrmann (Mitte) und Vertretern des Kreisvorstandes – Foto: Thomas Velten
Was würden Sie für den Kreis Kle­ve durchsetzen wollen?
Weitere Kiesabgrabungen stop­pen wegen des Grundwasserspiegels und der Trinkwasserqualität. Wir müssen eine gemeinsame Richtung von Umweltschutz und Landwirt­schaft hinkriegen und nicht gegenei­nander arbeiten. Die Landwirtschaft ist hier das größte Arbeitsfeld. Ich se­he großen Handlungsbedarf ange­sichts der Riesenbauernhöfe nur noch mit Stallhaltung und der nie­derländischen Gülle-Aufbringung auf unsere Felder. Ich will mich ein­setzen, dass wir kleine und mittel­ständische landwirtschaftliche Unternehmen unterstützen, dass sie Existenzsicherung bekommen. Da­mit sie uns gute Lebensmittel in re­gionalem Kreislauf bereit stellen können. Als Grüne müssen wir hin­gucken, etwa, dass Biogasanlagen nicht so viel Futtermais verwenden. Da besteht Korrekturbedarf. Das muss mit den Bauern gehen.
Wie können sie auf Landesebene aktiv werden, um die medizinische
Versorgung zu verbessern?
Wir können sicher nicht verord­nen: Jetzt geht ein Arzt nach Kranen­burg. Aber wir können Alternativen zu reinem Medizinstudium fördern. Es gibt sehr gute Weiterqualifizie­rungsmöglichkeiten in krankenpfle­gerischen Berufen. Eine Chance für die medizinische Versorgung ist auch, mehr ambulant zu arbeiten. Man wird in Zukunft nicht mehr an jedem Ort den Arzt haben, aber mehr aufsuchende ärztliche Versor­gung.
Halten Sie die Umstrukturierung der Katholischen Kliniken im Kreis Kleve für ein Zeichen der Zeit, dass es nicht anders geht?
Ich finde es gut, dass die vier Standorte erhalten bleiben und jeder davon sich auf Fachgebiete konzent­riert. Aber es muss kreisweit über Vernetzung nachgedacht werden, auch mit niedergelassenen Ärzten und therapeutischen Praxen. Die Verweildauer im Krankenhaus wird kürzer. Also wird mehr Versorgung in die Nachbetreuung gelegt werden. Das muss gut verzahnt sein.

NRZ Kleve, Astrid Hoyer-Hölderberg, 12.05.2012